Letzte Reise

Franz Hohler
und der Tod

Die Katze im Sterbebett

Fotos und Video: Fabian Biasio

Mit Franz Hohler bin ich aufgewachsen. Mein Vater las mir als Kind oft seine Geschichten vor. Besonders gefallen hat mir «Das Haustier»: Jemand geht in eine Zoohandlung und kauft – einen kleinen Teufel. Dreissig Jahre später erzählt mir Franz Hohler, wie es ist, wenn die eigenen Freunde allmählich zu sterben beginnen.

«Das muss schön sein, so zu sterben –
wenn ein Tier bei einem bleibt.»

Franz Hohler

Abschied

Aus dem Buch «Ein Feuer im Garten», 2015
Luchterhand, ISBN 978-3-630-87452-4

Dr Tod

Dr Tod
Isch nid eine
Wo eim uf d Schultere chlopft
Und seit Chumm mit
Sondern eine
Wo eim i beidi Arme nimmt
Und drückt
Und drückt
Bis me nüt meh anders
Cha dänke
Als

Jo I chume

Aus dem Buch «Vierzig vorbei»,
1988 Luchterhand, ISBN 3-630-86676-X

Verhaftung

Eines Nachts
Wenn du heimgehst, vielleicht
Wird dir der Tod
Mit der Taschenlampe
Ins Gesicht zünden
Dich kurz mustern
Und über die Schultern
zu seinen Männern sagen:
Dieser da!

Aus dem Buch «Vierzig vorbei»,
1988 Luchterhand, ISBN 3-630-86676-X

Jeder Fotograf wird fotografiert

Als ich ihn porträtiere, hält Franz Hohler plötzlich eine kleine Kamera in der Hand. Ob es für mich in Ordnung sei, wenn er mich… Sicher! Wir fotografieren uns gegenseitig. Flink zieht Franz Hohler die Speicherkarte aus der Kamera und schiebt sie in einen kleinen Fotodrucker. Nach kurzer Zeit übergibt er mir ein Foto, das zeigt, was derjenige sieht, der von mir fotografiert wird.

Fabian Biasio

Franz Hohler

«Meine erste bewusste Erfahrung mit dem Tod, die war, glaube ich, als ich als Kind eine Schnecke zertreten habe. Mutwillig, einfach um zu sehen, wie es kracht und wie das Schneckenfleisch aus dem zertrümmerten Häuschen quillt. Und dann hat meine Mutter gesagt: «Wieso hast du jetzt diese Schnecke getötet? Die freute sich doch am Leben.» Und da habe ich realisiert, dass ich ein Lebewesen umgebracht habe und dass diese Schnecke nicht mehr leben wird. Und das war ein plötzlicher Ausblick auf ein Ende. Und zwar auf ein Ende, an dem man sogar selbst schuld und beteiligt ist. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem mir der Tod nicht in irgendeiner Form begegnet. Man kommt ja dann auch in ein Alter, in dem die Freunde zu sterben beginnen und man sich überlegen muss, ob man zu der oder jener Abdankung hingeht. Ich sehe den Tod nicht als Terroristen, der auf mich lauert. Und möchte mich nicht erschrecken lassen vom Gedanken ans Sterben. Mein Freund Jürg Schubiger, der vor zwei Jahren gestorben ist, hat an einem seiner letzten Tage zu seiner Frau gesagt: "Ich hätte nicht gedacht, dass der Tod noch selber zu mir kommt." Als er am Sterben war, hüteten er und seine Frau die Katze der Nachbarn im ersten Stock, die verreist waren, und sie fütterten diese Katze. Und als es mit ihm zu Ende ging, hat sich die Katze auf das Bett zu ihm gelegt auf das Fussende und ist dort geblieben, bis er gestorben ist. Und dann ist sie gegangen und kam danach nicht mehr in die Wohnung. Da denke ich, das muss schön sein, so zu sterben – wenn ein Tier bei einem bleibt. Interessant ist, dass wir nach dem Tod, normalerweise, der Erde übergeben werden. Wir werden begraben, sei es als Leichnam oder sei es in Form von Asche. Aber die Vorstellung ist eigentlich, dass man nach oben geht, dass die Seele fliegt – "Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus." – Eichendorf! Der Flug ist damit verbunden. Es sind zwei gegenteilige Bewegungen. Es gibt eine physische Bewegung nach unten und eine psychische Bewegung nach oben – und die beiden werden sich wohl die Waage halten.»